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Seestadt Aspern: Wie man eine Chance in Scheiße verwandelt

Dieses Thema im Forum "FORUM | Reden wir miteinander ..." wurde erstellt von 0xym0r0n, 4 August 2015.

  1. 0xym0r0n

    0xym0r0n Gast-Teilnehmer/in

    Dauernd höre ich jetzt Leute von der "Seestadt Aspern" reden. Dem neuen, tollen Stadtentwicklungsgebiet am entferntesten Rand von Wien, in das 10.000e Leute ziehen sollen. Das so ganz anders sein soll, als man es von Satellitenstädten sonst kennt. Umweltfreundlich, kommunikativ, sozial gerecht, offen, locker, Freizeitangebote, freundlich, sauber, also viel mehr als nur wohnenswert. Schon bevor auch nur ein Ziegel (äh, eher Betonwand) aufgestellt wurde, waren unzählige Mitarbeiter der Stadt Wien unterwegs, um das Projekt in Einkaufszentren mit bunten Plakaten und schönen Bildern vorzustellen und hochzuloben.

    Nun gut. Unlängst war ich mit dem Auto in Aspern unterwegs, weil ich dort beim riesigen Opel Werk zu tun hatte. Ich hatte etwas Zeit, also beschloss ich die Seestadt Aspern zu besuchen und mir das mal persönlich anzusehen. Schließlich hatte ich erst ein paar Tage davor gelesen, dass "der See jetzt auch zum Baden freigegeben" wurde. Also wollte ich mir einen Eindruck von der Seestadt machen und vielleicht am See einen Eiskaffee trinken und ein wenig mit den Bewohnern dort plaudern um mir erzählen zu lassen, wie es ihnen so geht in der neuen Stadt. Zumindest habe ich -von der Werbung angesteckter Naivling- mir das so vorgestellt.

    Gesagt, getan. Ich kurve mit dem Auto lange und kilometerweit rund um das praktischerweise direkt an der Bundesstraße gelegene Opel Werk (und denke mir noch: gescheit, eine neue Stadt hinter einem riesigen Industriewerk zu bauen), bewundere den neben dem Opel Werk stationierten ÖAMTC Notarzt-Hubschrauber (der schon bald zum neugebauten, protzigen ÖAMTC Flughafen samt Bürogebäude in Erdberg übersiedeln wird, aber das ist ein anderes Thema) bis ich endlich in der Ferne Hochhäuser hinter einem silbernen Tunnel auf Stelzen sehe, in dem scheinbar die U-Bahn fährt. Weit vor dem Tunnel fahre ich an einem nagelneuen, modernen Bürogebäude mit viel Glas und 6 Stockwerken und einem Transparent "Büros zu vermieten" vorbei. Im Erdgeschoss ein Restaurant, das treffend "Salz & Peffer" heißt und laut riesiger Scheiben-Aufschrift auch "Coffee To Go" anbietet. Nur eben nicht jetzt, denn es war geschlossen. Was mich nicht wundert, denn die Gegend war leer. Nicht ein einziger Mensch in einem Radius von einem Kilometer. Wann immer das Lokal offen hat, ich hoffe es überlebt, bis die Seestadt sich bis dorthin ausgebreitet hat. Ca. 1 Kilometer später taucht man plötzlich aus der kahlen Beton-G'stättn (die früher angeblich die Rollbahn des Flughafens Aspern war) in Hochhausschluchten ein und sieht endlich Menschen. Hauptsächlich sehr junge Leute, viele sind mit kleinen Kindern unterwegs. Gut durchmischt mit Migranten, scheinbar hat man zumindest in dieser Hinsicht gut geplant. Aber, vermutlich ist das auch nur Zufall, weil dort die Wohnungen so günstig zu haben sind und deshalb dann eher Menschen hinziehen, die es nicht so dick in der Brieftasche haben. Jedenfalls sind die Wohnhochhäuser sehr eng aufgestellt und sehr phantasielos gestaltet. Ab und zu ein paar bunte Eyecatcher, aber ähnlich wie in anderen berühmten Wohn-Siedlungen wie Rennbahnweg, Großfeld und Hansson. Nur noch riesiger. Schon jetzt. Und es soll noch 10x so groß werden. Wie, wenn man aus der Vergangenheit nichts gelernt hätte. Wozu riesige, phantasielose, billig hochgezogene Betonhochhaus-Siedlungen ohne Infrastruktur am Stadtrand führen...

    Aber ja, es gibt Infrastruktur. Einen Spar. Eine Buchhandlung. Eine Erste Bank. Einen Libro, einen Bipa und auch einen Backshop. Und eine Trafik natürlich. Nein, keine Gastronomie. Offenbar glaubt man nicht, dass die Einwohner der Seestadt sich auswärts essen und trinken leisten können. Und wenn, können sie ja 1 km weit gehen, da ist eh das "Salt & Pfeffer". Wenn es offen hat.

    Was aber am Unglaublichsten ist: Es gibt keine Parkgaragen in den Hochhäusern. Die Autos stapeln sich somit zusätzlich in den Straßenschluchten zwischen den Hochhäusern. Und obwohl es keine Polizei-Station gibt, scheint die Polizei trotzdem gerne Strafzettel auszuteilen. Man bemerkt, dass peinlich genau darauf geachtet wird, korrekt zu parken. In den Markierungen. Aber es gibt an den Straßen nur etwa 10% Parkplätze als es Wohnungen gibt. Haben also 90% der Bewohner (da vergesse ich schon alle Mitbewohner) kein Auto? Nein, natürlich nicht. Die restlichen Autos parken wild links und rechts aller erdigen Feldwege, die sternförmig von der Hochhaus-Satellitenstadt wegführen. Bis kilometerweit von den Hochhäusern entfernt stehen sie da, ein Auto nach dem anderen, eng an eng, dazwischen gerade Platz zum einspurigen Durchfahren. Bei Regen ist das wichtigste Accessoire vermutlich Gummistiefel, um sein Auto wieder zu erreichen. Manche Bauern wehren sich verständlicherweise auch schon dagegen und stellen "Allgemeines Fahrverbot (ausgenommen Traktoren)" Schilder am Eingang zu ihren Feldwegen auf. Klar, dass sie niemand beachtet. Wo soll man mit der Kiste auch hin? Aber die Polizei hat bald sicher ein neues, potentielles Abkassier-Paradies.

    Also bisher so enttäuschend, so schlecht. Aber wo ist jetzt der See? Den hab ich bisher nicht gesehen. Es muss aber einen geben. Also wieder umgekehrt am Feldweg (nach langer Zeit war eine Lücke in der Parkschlange, die man zum reversieren nutzen konnte) und zurück in die Hochhaus-Schlucht. Und wirklich. da am Ende der Strasse ist ein Schotterteich. Nicht viel anders als andere Schotterteiche auch. Schotter und Stahl-Schottwände an den Ufern. Ein kleines Stück Ufer hergerichtet mit Wiesenflächen (die man tatsächlich betreten darf!), asphaltierten Wegen und einem kleinen flachen "Strand". Und Kinder-Spiel-Geräte. Auf den Wegen dieses "See-Park" genannten Areals hunderte Menschen, die mal links dann wieder rechts herumflanieren oder Kinderwagen schieben. Klar, was soll man in der Seestadt sonst auch machen. Sich um die 3 vorhandenen Sitzbänke im See-Park raufen? Nein, natürlich gibt es kein Lokal am "See" mit gemütlichem Gastgarten für soziale Kontakte. Es gibt ja gar kein Lokal in der Seestadt. Außer dem geschlossenen in 1 km Entfernung. Und -ja- da ist auch noch dieser Blech-Container mit Kantinenfertigkost und Bier auf der ehemaligen, jetzt nur mehr staubigen Rollbahn. Neben dem Aussichtsturm, wo man einen guten Überblick über diese Zukunftsstadt in der Mitte eines autogesäumten spinnwebenartigen Netzes haben konnte. Bis vorige Woche. Er ist jetzt geschlossen, die Stadt ist bezogen. Auftrag erledigt.

    Auf diesem Info-Aussichtsturm ist eine riesige Tafel mit Spalten für jedes einzelne Jahr von 2013 bis 2018 angebracht. In diesen Spalten Bilder mit den geplanten und auch erfolgten Fertigstellungen. "Die zukünftige U-Bahn Station wird so aussehen" sagt ein Bild in der Spalte 2013. "Die ersten Bürogebäude sind fertig" steht unter 2014. "Die ersten Bewohner ziehen ein" schließlich unter 2015. Die Spalten 2016 und 2017 sind mit nichtssagenden Parolen, wie z.B. "Morgen", versehen, 2016 kündigt die Eröffnung einer Schule an. Die Spalte 2018 ist schließlich komplett leer. Vermutlich ist den Verantwortlichen die Phantasie ausgegangen. Vermutlich wäre es auch besser gewesen, diese wäre gar nicht erst entstanden oder hätte sich auf eine Ausweitung des Opel-Werkes in diesem Gebiet beschränkt. Vermutlich wären dann in ein paar Jahren 10.000e Menschen glücklicher gewesen. Vermutlich...

    Tafel.JPG
     
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  2. bluevelvet

    bluevelvet my mind is dangerous
    VIP: :Silber

    Wir waren auch vor ca. einem Monat dort und ich kann deinen Eindruck bestätigen. Ein Beispiel für gescheiterte Planung der Stadterweiterung, doch zugleich ein Beweis dafür, dass halbwegs bezahlbarer Wohnraum in Wien Mangelware ist, darum sind trotzdem genug Leute dorthin gezogen.

    Ist mir allerdings schon anno dazumal beim Kabelwerk aufgefallen, dass die Art der Architektur und auch Anordnung der verschiedensten Wohnhäuser, für mich wild zusammengeschustert wirkte und irgendwie der harmonische Kern, das gelungene Zentrum fehlte. Ich war dann sehr glücklich, dass ich mich nach einiger Überlegung gegen dieses Projekt und fürs weitere Abwarten entschied, zumal ich kurz danach meine Traumwohnung gefunden habe. :) Allerdings hatte ich genug Zeit um meine Suche über mehrere Jahre ausdehnen zu können und zu warten, bis wirklich alles passt, von daher ist mein Fall nicht wirklich repräsentativ.
     
  3. marionr1

    marionr1 Gast-Teilnehmer/in

    Da ich bei der Hälfte aufgehört habe zu lesen, habe ich vielleicht einiges überlesen.

    Aber du hast leider sehr viel Unrecht.
    Wie Dieter Nur schon sagte: "wenn man keine Ahnung hat, .............."
     
  4. Lissi

    Lissi Es ist wie es ist !

    Schreibst du für eine Zeitung? :D Toller Artikel . Sehr gut geschrieben. bis zum Schluß gelesen und einen guten bzw. in dem Fall schlechten Eindruck über diese Seestadt gewonnen. Ob wahr oder nicht kann ich nicht beurteilen, wage mich nur selten über die Donau....
     
  5. marionr1

    marionr1 Gast-Teilnehmer/in

    Du darfst mich gerne einmal besuchen!
     
  6. 0xym0r0n

    0xym0r0n Gast-Teilnehmer/in

    Da dies ein Diskussionsforum ist, wäre es schön deine Meinung als Bewohnerin zu lesen. Das Geschriebene war ja nur mein Eindruck als Besucher. Was raus kommt, werden wir in 10 Jahren sehen, ich bezweifle jedenfalls stark dass der Rest der "Seestadt Aspern" überhaupt noch gebaut werden wird. Das wird wohl langfristig eine Satellitenstadt mitten in einer staubigen G'stättn bleiben.

    Einen Dieter Nuhr kenne ich nicht. Wer ist das und wie lautet das Zitat ohne Punkte?
     
    melii gefällt das.
  7. LaraCroft

    VIP: :Silber

    Eine Freundin von mir wohnt dort. Sie fühlt sich dort eigentlich wohl.
    Obwohl sie meistens nur zum schlafen dort ist, weil sie viel arbeitet und in der Freizeit woanders hinfährt:).
    Die Ubahn Anbindung taugt ihr halt. Und die Größe der Wohnung, die sie sich woanders nicht leisten hätte können.
    Nur momentan klagt sie sehr über die Hitze in der Wohnung.
    In so Betonklötzen muss das echt unerträglich sein.
     
  8. marionr1

    marionr1 Gast-Teilnehmer/in

    Wenn ich mehr Zeit habe, bekommst du eine Antwort.

    Eine Frage hätte ich gleich: Wo bitte hast du den Bipa gesehen?
     
  9. 0xym0r0n

    0xym0r0n Gast-Teilnehmer/in

  10. bluevelvet

    bluevelvet my mind is dangerous
    VIP: :Silber

  11. 0xym0r0n

    0xym0r0n Gast-Teilnehmer/in

    Vermutlich hat er, wie der Spar, gerade erst aufgesperrt.
     
  12. marionr1

    marionr1 Gast-Teilnehmer/in

    Vor einer Woche hat es noch keinen Bipa gegeben.
    Spar hat am 24.6 aufgesperrt.

    Nach deiner Schilderung, hatte ich den Eindruck, dass du ihn mit eigenen Augen gesehen hast.
    Die Seite kenne ich natürlich.
     
  13. 0xym0r0n

    0xym0r0n Gast-Teilnehmer/in

  14. bluevelvet

    bluevelvet my mind is dangerous
    VIP: :Silber

  15. Privatrice

    Privatrice Gast-Teilnehmer/in

    Es betrifft jetzt gar nicht nur die Seestadt.

    Ich habe generell ein Problem mit dem derzeit-nicht nur in Österreich herrschenden- Baustil.
    Diese Unsitte, irgendwelche Gebäude einfach irgendwie zusammenzuwürfeln, ohne Struktur oder für Nichteingeweihte erkennbaren roten Faden ist schon schlimm genug.
    Wobei dann alle Häuser steril und klotzig sind, nur halt unterschiedlich.
    Akzentuiert wird so etwas noch gerne ab und zu mit Schreifarben, irgendwelchen asymetrischen, spitzen, X- oder Y-förmigen Riesenelementen u. dgl.

    Daraus kann kein harmonisches Gesamtbild entstehen.

    Einzig das Großwerden der jetzt gepflanzten Bäume wird das Ganze harmonisieren.
    (Ich wäre überhaupt dafür, aus mehreren Gründen, die Stadt- und Fassadenbegrünung massiv voranzutreiben.)
     
  16. marionr1

    marionr1 Gast-Teilnehmer/in

    Gastro gibt es das Öeins und Parkgaragen haben wir auch.

    Manche Gebäude sind gewöhnungsbedürftig, aber es wird keiner gezwungen dort einzuziehen.
    Ich fühle mich wohl und ob und was noch kommt warte ich einfach ab. Polizei ist geplant.
     
  17. Lissi

    Lissi Es ist wie es ist !

    marionr1marionr1 Forumstreffen bei dir? Und dann führst du uns durch die schöne Seestadt :D
     
    Mpazi.Lu und marionr1 gefällt das.
  18. lina.kurbel

    lina.kurbel Nicht alles, was glänzt, ist Gold.

    Ich meine, man muss sich dort nicht der Illusion hingeben, in der "Stadt" zu wohnen. Ich musste einige Jahre lang, weil meine Eltern dorthin wollten, in Wulzendorf wohnen. Wulzendorf ist ein Teil von Aspern, dort, wo das SMZOst steht. Dort schlichen damals die Nebel über die Felder, während die junge lina auf den ollen 92A gewartet hat. Ok, jetzt fährt die U2 hin, davon war damals keine Rede, aber es war - und IST - definitiv Stadtrand. Da kann noch so viel "Stadt" im Namen vorkommen, es ist maximal eine Satellitenstadt.

    Manche Menschen mögen das. Die nehmen weite Wege für ihre täglichen Fahrten in Kauf, um für ihre Freizeit in der Natur nur kurze Wege zu haben. Manch andere (ich zum Beispiel) bevorzugen es anders herum.

    Insofern ist zu wünschen, dass möglichst viele Leute, die Version 1 bevorzugen, den Weg in die Seestadt finden und dem ganzen Ding Leben einhauchen. Ich bin neugierig.
     
  19. marionr1

    marionr1 Gast-Teilnehmer/in

    Morgen eröffnet das 2. Restaurant in der Seestadt, das Portobello!
     
  20. Chelsea

    Chelsea Gast-Teilnehmer/in

    ich hab meine ganze Jugend in aspern verbracht zwar nicht direkt im Zentrum aber dennoch.

    ich habe auch dort gewohnt wo jetzt die Seestadt steht denoch würde ich heute nicht mehr dahin ziehen.

    nicht wegen der bauten oder so habs mir gar nicht angesehn. mich verbindet einfach nichts mehr mit der gegend.
     

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